2008-04-27

Ich ward ein Twombly - für sieben Minuten

Moderne Kunst leidet oft unter dem Unverständnis des Plebses, der sich wiederholt unfähig erweist, Farbquadraten und wilden, durcheinanderlaufenden Pinselstrichen die nötige Achtung zu zollen. Doch nur weil der Text mit den Worten "Moderne Kunst leidet" beginnt, bedeutet es natürlich nicht, dass die moderne Kunst per se leidet. Sie leidet so gar nicht. Leiden tun nur Künstler, die Jahre in eine Ausbildung investiert haben, in der Absicht, sich so viel klassischer techné wie nur möglich anzueigenen, nur um herauszufinden, dass zwischen Kunstfertigkeit und Erfolg heute keine Kausalität besteht.

Ich sage damit nicht, alles, das kunstfertig oder sinnig ist, sei automatisch zur Erfolglosigkeit verdammt. Ich sage lediglich, dass zwischen Talent und Erfolg zumindest in der Welt der Leinwände kein direkter Zusammenhang besteht. Es ist gelinde gesagt ein Glücksspiel.

Da kam mir nun ein Bild von Cy Twombly über den Tisch. Es stammt aus dem Jahr 1971 und erzielte vor wenigen Jahren bei Christie's in New York einen Rekordpreis von 5.4 Millionen Dollar. Der Laie würde es sicherlich als eine lustlose Schmiererei einstufen. Und es ist sicher kein Zufall, dass ich ein Laie bin. Doch es lässt mir keine Ruhe. Ich greife selbst zum Stift und Papier und beschließe es nachzumalen. Oder - wenn Sie so wollen - etwas ähnlich geartetes zu kreiern. Natürlich habe ich für solche Experimente keine Zeit und so nehme ich mir vor, dafür nicht mehr als zehn Minuten zu investieren.



Cy Twombly: Untitled (Rome), 1971




Ales Pickar: 7 Minutes in Rome, 2008 (Variation over a picture by Cy Twombly)



Twomblys Werk trägt den Titel "Untitled (Rome)". Ich konnte mir die programmatische Provokation nicht verkneifen und nannte mein Bild "7 Minutes in Rome". Denn ich hatte die Zeit, die ich mit der Bleistiftzeichnung verbrachte, mit einer Uhr gemessen und dann am oberen Bildrand festgehalten.

Was ging in mir in den sieben Minuten vor und wie ist mein Ergebnis zu bewerten?

Vorweg gesagt: Twomblys Bild ist vielfach besser als meins. Etwas anderes ist auch nicht zu erwarten. Erstens verbrachte der Urheber des ersten Werks ein halbes Jahrhundert mit dem Auftragen derartiger Striche und zweitens hat er sicherlich (oder vielmehr hoffentlich) mehr Zeit explizit in "Untitled (Rome)" investiert, als ich in "7 Minutes in Rome".

Beim Zeichnen meines Beitrags machte ich zuerst die Erfahrung, dass es nicht so einfach und selbstverständlich ist, wie man es sich vorher einbildet. Twombly hat sicher vorab eine felsenfeste Entscheidung bezüglich des Malgeräts getroffen, während ich den erstbesten Bleistift genommen hatte, der herumlag - was sich während des Zeichenvorgangs als ein Fehler erwies. Dann zeigte sich ganz klar, dass Cy Twombly wesentlich besser die eigenen Striche verwischen kann. Ich hatte mir kurzerhand ein Taschentuch geschnappt und hielt es kurz unter den Wasserhahn. Doch der geplante, nebelartige Verwischeffekt war nicht, wie ich ihn mir erhofft habe - ebenfalls ein Ergebnis einer falschen Stiftwahl. Ich trug lieber eine weitere Schicht aus den spiralenförmigen Strichen auf. Nach sieben Minuten galt das Experiment für mich als abgeschlossen.

Ich gebe mich geschlagen. Cy Twomblys Bild ist besser. Aber verfolgen Sie doch meine Gedankengänge noch einige Augenblicke.

Sagen wir doch mal, es sei 10x so gut wie meins. Wenn seins aber bei Christie's 5.400.000 Dollar generierte, sollte es doch angehen, daß "7 Minutes in Rome" zumindest 540.000 Doller erzielt. Sogar wenn man sagen würde "Untitled (Rome)" sei 100x besser als mein Bild, was mich nun aber ein wenig kränkt, könnte ich doch in dieser Milchmädchenrechnung auf immerhin satte 54.000 Dollar spekulieren.

Sie ahnen es schon. So funktioniert es nicht. Wie haben ja eingangs gesagt, dass es keinen Zusammenhang zwischen Talent und Erfolg gibt. Bei Sotheby's und Christie's wird ja nicht Kunst versteigert, sondern an Namen geknüpfte Objekte. Und zumindest an dieser Stelle besteht kein Zweifel: in der Welt der Maler habe ich keinen Namen. Armer Vincent.